In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Religion und Gesellschaft in Ost und West (RGOW 9/2018) des Instituts G2W, Ökumenisches Forum für Glauben, Religion und Gesellschaft erscheint der Aufsatz „Rumänien 1918: zwischen Pluralismus und Vereinheitlichung“ von Dr. Florian Kührer-Wielach.

Das Jahr 1918 markierte eine Zeitenwende: Die drei großen Reiche der Romanovs, Habsburger und Osmanen zerfielen, während das Deutsche Reich vom Kaiserreich zur Republik wurde. Die größten territorialen Veränderungen ereigneten sich in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa, wo zehn neue Staaten entstanden: Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, die Tschechoslowakei, Österreich, Ungarn, Jugoslawien und die Türkei.
In dieser Ausgabe nimmt die Schweizerische Osteuropabibliothek und die Zeitschrift RGOW das Epochenjahr 1918 und dessen bis heute spürbare Folgen für das östliche Europa in den Blick, wobei sie sich auf ausgewählte Staaten Ostmittel- und Südosteuropas beschränken. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden nicht nur die Landkarte Europas neu gezeichnet, sondern auch politische Systeme verändert und gesellschaftliche Wandlungsprozesse beschleunigt.

Rumänien 1918: zwischen Pluralismus und Vereinheitlichung

Im Oktober 1918, als die Auflösung der Donaumonarchie bereits in vollem Gange war, trat das Königreich Rumänien ein zweites Mal an der Seite der Entente in den Krieg ein. Der im März des Jahres geschlossene Separatfrieden mit den Mittelmächten wurde für ungültig erklärt, das große Ziel, der Zusammenschluss aller von Rumänen bewohnten Gebiete, erreicht: Im seit der Oktoberrevolution von Russland unabhängigen Bessarabien erneuerte ein Rumpflandtag den im März des Jahres verkündeten Anschluss an Rumänien. Ende November folgte ein „Generalkongress“ im bis dato österreichischen Kronland Bukowina diesem Beispiel. Drei Tage später, am 1. Dezember 19181, verkündete der griechisch-katholische Bischof von Gherla (Siebenbürgen), Iuliu Hossu, im Beisein des orthodoxen Bischofs von Caransebeș (Banat), Miron Cristea, die Beschlüsse einer „Großen Nationalversammlung“ der ungarländischen Rumänen in Karlsburg (rum. Alba Iulia, ung. Gyulafehérvár): die „große Vereinigung“ der von ihnen bewohnten Gebiete – Siebenbürgen, das noch bis 1919 umkämpfte Banat und das Partium – mit Rumänien. Der Anschluss Siebenbürgens stellte den Höhepunkt und den Schlussstein der rumänischen Irredenta dar.