33. Internationale Siebenbürgische Akademiewoche

“Rumäniendeutsche Literatur und Archive”

 

Die 33. Internationale Siebenbürgische Akademiewoche des Studium Transylvanicum fand in diesem Jahr unter dem Titel „Rumäniendeutsche Literatur und Archive“ statt und bot neben einer reichhaltigen Auswahl an Lesungen und Workshops auch kulturelle Ausflüge in die Gegend um Hermannstadt/Sibiu/Nagyszeben und Michelsberg/Cisnădioara/Kisdisznód (Rumänien). Die Veranstaltung in Kooperation mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der LMU München, dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde Heidelberg und dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde Hermannstadt/Sibiu sowie dem Institut für deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin lud die teilnehmenden Nachwuchswissenschaftler ein, die Literatur und den Raum Siebenbürgens zu erfahren und einige der in und mit diesem Raum agierenden Autorinnen und Autoren persönlich kennenzulernen.

Nach der Ankunft am Samstag, den 4. August, am Elimheim in Michelsberg, wo die von Michaela Nowotnick organisierte Gruppe die Woche verbrachte, machte Heinke Fabritius den Auftakt mit einem Vortrag zum Thema „Kulturerbe vermitteln“. Die Kulturreferentin für Siebenbürgen stellte ihre Arbeit und die damit verbundene Aufgabe der Vermittlung der Kultur und Geschichte Siebenbürgens und seiner Bewohner vor und stimmte die Teilnehmer auf eine vielversprechende Woche ein.

Der Sonntag begann mit einem Besuch des Gottesdienstes in der evangelischen Kirche in Michelsberg. Der Heltauer Pfarrer László-Zorán Kézdi passte dabei seine Predigt an die Gruppe der Studierenden an und ging auch auf die Literatur- und Sprachwissenschaften ein.
Nach dem Mittagessen stand im Garten des Elimheims die Lesung mit der in Siebenbürgen aufgewachsenen Autorin Iris Wolff auf dem Programm. In idyllischer Kulisse las sie aus ihrem ersten Roman Halber Stein, in dem die nach Deutschland ausgewanderte Hauptfigur die Geschichte ihrer Großmutter rekonstruiert und nach und nach ihre Erinnerungen an Michelsberg wiederfindet. Die Autorin geht auf das sensible Thema der Auswanderung ein und sieht in dem Michelsberger Naturmonument des Halben Steins ein Symbol dafür, dass „man nichts verlieren kann, solange man sich erinnert“. Diese und die übrigen Lesungen waren Teil des öffentlichen Programms der diesjährigen Akademiewoche, an dem interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer aus der Umgebung teilnahmen.
Am Abend las der rumäniendeutsche Autor Frieder Schuller aus seinem Theaterstück Tanz mit der Stille. In dem bildgewaltigen Text geht Schuller auf Erfahrungen aus der Zeit des Kommunismus und vor allem auf den Neuanfang im Westen ein. Die Frage warum er ausgerechnet diesen Text für die Akademiewoche ausgesucht hat, beantwortet Frieder Schuller teils humorvoll, teils besorgt damit, dass die Erinnerung an die Vergangenheit verloren gehe: „Die Vergangenheit ist wie ein Wandbehang, den man ins Archiv hängt“. Literatur könne dazu beitragen, diese Erinnerungen wachzuhalten und zu vermitteln.

Am Montag stand der erste größere Ausflug an. Mit dem Bus ging es zum Teutsch-Haus nach Hermannstadt, wo der Literaturhistoriker Joachim Wittstock die Gruppe zu einem literarischen Stadtrundgang in Empfang nahm. Bei einem theoretischen Rundgang im Terrassensaal des Hauses hatten die Nachwuchswissenschaftler zunächst die Gelegenheit, Orte der Stadt, die mit deutschsprachiger Literatur in Verbindung gebracht werden können, kennenzulernen. Anschließend führte Joachim Wittstock die Gruppe über den Kleinen und Großen Ring, entlang der alten Stadtmauer, vorbei am Thalia-Saal bis hin zum Nationaltheater. Auf dem Weg fanden sich immer wieder Gedenktafeln und Statuen zu namhaften Schriftstellern wie Emil Cioran, Oskar Pastior und sogar Friedrich Schiller, von denen der überwiegende Teil zeitweise in Hermannstadt gelebt hat.
Am Nachmittag fuhr die Gruppe mit dem Bus weiter nach Rothberg/Roșia/Veresmart, wo der Pfarrer und Autor Eginald Schlattner sowie sein Bruder Kurtfelix Schlattner die Teilnehmer bereits mit einer Pferdekutsche auf dem Pfarrhof erwarteten. In der Kirche hielt Eginald Schlattner eine kurze Andacht und erzählte, wie er zum Beruf des Pfarrers gekommen war und was das deutsch-evangelische Kirchenleben in Rothberg einst ausmachte. Nach einer Kutschfahrt durch das Dorf wurden die Teilnehmer auf einen Kaffee und ein Gespräch in das Pfarrhaus eingeladen. Dort gewährten die Brüder den Studierenden einen detaillierten Einblick in ihr Leben im Kommunismus und in ihre Zeit im Gefängnis, denn beide Brüder waren Ende der 1950er-Jahre in politische Prozesse involviert worden. „Die Sprache haben sie uns nicht genommen“, sagte Eginald Schlattner, weswegen er das Dasein als Pfarrer und Autor literarischer Texte für sich wählte. Dabei kam aber auch zum Vorschein, wie unterschiedlich Eginald und Kurtfelix Schlattner diese schwere Zeit verarbeiten. In der abschließenden Gesprächsrunde kam aus dem Kreis der Studierenden eine grundlegende Frage: Wo sind eigentlich die Erfahrungen und Geschichten der Frauen aus der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen? Ihre Perspektive fehlt zumeist und dies sollte auch nach der Rückkehr nach Michelsberg noch für Diskussionsstoff sorgen. Ein Thema, dass möglicherweise eine weitere Akademiewoche füllen könnte.

Am Dienstag ging es vom Elimheim zu Fuß auf den Michaelsberg zur sich dort befindenden Kirche. Auf dem Berg angekommen, brachte Heinke Fabritius den Nachwuchswissenschaftlern eindrucksvoll den Bau und die Geschichte der Basilika nah.
Gegen Mittag trug die Kölner Journalistin Renate Zöller, die die Gruppe Dank der Einladung von Heinke Fabritius begleiten konnte, zum „Kulturjournalismus für das östliche Europa“ vor und präsentierte ihr Buch Heimat ­– Annäherung an ein Gefühl.  Es handelt von Menschen, die aus verschiedensten Gründen ihre Heimat verlassen mussten und den damit verbundenen Verlust und Neuanfang. Renate Zöller erzählt dabei von Menschen, die für gewöhnlich nicht im Mittelpunkt stehen.
Nach dem Mittagessen ging es – ebenfalls im Garten des Elimheims – mit der Lesung der rumäniendeutschen Autorin Karin Gündisch weiter. Das Publikum bekam eine Premiere geboten, denn sie las aus einem bislang unveröffentlichten Manuskript vor, das auf ihrem in den 1980er-Jahren in Rumänien geschriebenen Tagebuch basiert.
Im Anschluss stellte Aurelia Brecht, Kulturmanagerin des Instituts für Auslandsbeziehungen, ihre Arbeit im Demokratischen Forum der Deutschen und in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Stiftung Kirchenburgen in Hermannstadt vor. Die recht junge Stiftung setzt sich für den langfristigen Erhalt der siebenbürgischen Kirchenburgenlandschaft sowie für Kulturprojekte und Denkmalpflege ein und fördert den Fachtourismus, Sommerschulen und Workshops.
Zum Abschluss des Tages stand eine kleine Wanderung entlang des Silberbachs an, bei der die Teilnehmer die Natur um Michelsberg erkunden konnten.

Der Mittwoch begann mit einem Besuch des im Friedrich-Teutsch-Haus befindlichen Zentralarchivs der Evangelischen Kirche in Rumänien (ZAEKR) in Hermannstadt. Nach einem anregenden Vortrag von Pfarrer i. R. Wolfgang Rehner über die Entstehung und den Aufbau der Bibliothek, führte der Archivar András Bándi die Gruppe ausführlich in das ZAEKR ein. Eine anschließende Führung durch die Depoträume veranschaulichte so das zuvor gehörte.
Der folgende Vortrag der Doktorandin Katrin von Boltenstern von der Humboldt-Universität zu Berlin unter dem Titel „Was sind Literaturarchive?“ thematisierte neben der Entstehung und Arbeit in diesen Archiven auch das „Nachlassbewusstsein“ von Autorinnen und Autoren. Hierunter versteht man den bewussten Umgang mit oder auch die bewusste Vernichtung von Materialien, die einmal als Autorennachlass in Archiven zugänglich gemacht werden. Dabei gewährte die Referentin auch einen Einblick in die Arbeit ihres Dissertationsvorhabens über „Nachlass – Politik und Poetik. Exemplarische Studien zum literarischen Archiv: Richard Leising und Helga M. Novak“.
Nach einer kurzen Pause trug der Berliner Restaurator und Kulturwissenschaftler Christian Lindhorst „Zum Umgang mit Archivalien“ vor und hielt einige praktische Erfahrungen für die Nachwuchswissenschaftler bereit. Nachdem diskutiert wurde, warum man überhaupt die Originalmaterialien in mühlevoller Arbeit erhalten sollte, lernten sie den richtigen Umgang mit älteren Büchern kennen und welcher Einsatz von Gegenständen und Substanzen nützlich oder schädlich bei der Arbeit im Archiv sein kann.
Am Nachmittag teilte sich die Gruppe, je nach Interesse, auf zwei Workshops auf. Julia Moldenhawer, Referatsleiterin für Digitalisierung am Brandenburgischen Landeshauptarchiv in Potsdam, leitete einen Workshop über „Fotografien als Quelle“. Dabei stellte sie ihre knapp einjährige Arbeit an der Erschließung eines Dachbodenfunds aus Michelsberg vor, der zahlreiche Fotografien der Brüder Emil und Josef Fischer enthielt und im Rahmen eines ZAEKR-Projekts bearbeitet wurde. Anhand einer Auswahl an Ausdrucken dieser Fotografien lernten die Teilnehmer den Umgang mit einer derartigen Quelle und die interessante Arbeit der Identifikation und Erschließung der Motive kennen.
Den zweiten Workshop leitete András Bándi zur „Einführung in die Bestandserschließung“. Dort erfuhren die Studierenden mehr über die Erforschung von schriftlichen Quellen sowie ihre Einarbeitung in ein Archiv und eine Bibliothek und konnten selbst kleinere Bestandsfunde auswerten.
Am Nachmittag besuchten die Nachwuchswissenschaftler die Forschungsstelle für das Siebenbürgisch-Sächsische Wörterbuch, die von Sigrid Haldenwang geleitet wird. Die Sprachwissenschaftlerin ermöglichte der Gruppe einen umfangreichen Einblick in ihre nun 47 Jahre währende Arbeit am Wörterbuch und erklärte, wie zum Beispiel Wortbildungsmuster und Entlehnungen den siebenbürgisch-sächsischen Wortschatz formten.
Den Höhepunkt des Tages lieferte am Abend die Lesung mit dem Leipziger Lyriker und Übersetzer Roland Erb. Bei der Veranstaltung im Garten des Teutsch-Hauses in Hermannstadt erfuhr das Publikum mehr über seine Studienzeit sowie seine Tätigkeit als Lyriker und Übersetzer in der DDR und wie er sein Interesse an Rumänien und Übersetzungen rumänischer Texte gewonnen hatte. Neben eigenen Gedichten las Roland Erb auch aus seiner 2018 erschienenen Übersetzung Freitagskatze. Das Buch der bösen Gerichte von Doina Ruști vor.

Der letzte Ausflug ging am Donnerstag nach Mediasch/Mediaș/Medgyes, wo die Gruppe die dortige Synagoge und das daran angeschlossene Archiv der einstigen jüdischen Gemeinde besuchen durfte. Julie Dawson, Leiterin des Erschließungsprojekts des Leo-Baeck-Instituts, führte die Gruppe durch die Synagoge und brachte ihnen die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Mediasch und Siebenbürgen näher. Im Archiv präsentierte sie zum Teil einzigartige Funde, zu denen auch mittlerweile restaurierte Textilien gehören.
Gestärkt von einem ausgiebigen Essen im Hof besuchten die Teilnehmer die Ausstellung des Archivs und nahmen an dem Workshop „Developing Past(s): Sunprinting“ teil, in dem zuvor von dem rumänischen Künstler Răzvan Anton ausgewählte Motive aus dem Archiv mittels fototechnischer Verfahren selbst reproduziert werden konnten. Am Abend ging es zum letzten Mal zurück zum Elimheim nach Michelsberg, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch ihre Freundlichkeit und die gute Bewirtung zum Gelingen der Akademiewoche beigetragen hat.

Am Freitag, den 10. August, stand für die Gruppe die Heimreise an. Sowohl Teilnehmer als auch Organisatoren können mit Freude auf eine sehr gelungene Akademiewoche zurückblicken, von der die Nachwuchswissenschaftler einiges mitnehmen konnten.
Wir danken der Bundesbeauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familie und Integration sowie der Kulturreferentin für Siebenbürgen für die Förderung der 33. Internationalen Siebenbürgischen Akademiewoche.

Daniel Biro