Sprache ist nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern auch ein symbolisches Differenzmerkmal, mit dem Gruppen konstituiert, und, damit zusammenhängend, Ausgrenzung und Einbezug legitimiert werden. Prominentes Beispiel dafür ist die zentrale Rolle der Amtssprachen in der Entwicklung von Nationalstaaten. Beispiele in der Geschichte zeigen, dass eine bestimmte Sprache dabei als nationenbildende Sprache in den Vordergrund gestellt und andere Sprachen sowie deren Sprecher_innen unterdrückt werden bzw. wurden. Diese sozialen Prozesse führten und führen auch heute noch dazu, dass Menschen ‚lernen‘, dass eine bestimmte Sprache ihre nationale bzw. gruppenbezogene Identität ausmache. Was aber passiert, wenn im Zuge der Änderung der Machtstrukturen von Nationalstaaten, der Bildung supranationaler Strukturen, weiterer Effekte von Globalisierung, Flucht und Migration Sprachenordnungen irritiert werden? Inwiefern und wie wird interveniert und wie verschieben sich Zugehörigkeitsverhältnisse?
Im Rahmen unserer Tagung möchten wir die Rolle des Deutschen als Differenzmerkmal in den gegenwärtig von vielfältigen sozialen Veränderungen gekennzeichneten glokalen Gesellschaften in den Blick nehmen und eruieren, welche Prozesse der Gruppenkonstitution, des Einbezugs und der Ausgrenzung über die symbolische Dimension des Deutschen stattfinden. Dabei verfolgen wir eine internationale Perspektive; das heißt, uns interessiert die Rolle des Deutschen als symbolische Differenzsetzung in Ländern, in denen Deutsch die dominante Amtssprache darstellt, aber auch in Ländern, in denen Deutsch eine Minderheitensprache ist. Folgende Fragestellungen könnten im Rahmen der geplanten Tagung thematisiert werden:

  • Wann und inwieweit geben Angehörige der sich als deutsche Minderheiten verstehenden Gruppen das Deutsche auf?
    Wie wird dies von den deutschsprachigen Gemeinschaften in Mittel- und Osteuropa wahrgenommen und inwiefern
    werden den Switchern soziale Sanktionen auferlegt?
  • Inwieweit bewirkt die Aufrechterhaltung bzw. die Aneignung des Deutschen beziehungsweise das Ablegen dieser
    Sprache sich auf die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft aus, die sich als deutschsprachige definiert?
  • Wird von Migrant_innen erwartet, dass sie (neben der Standardsprache Deutsch oder einer anderen Standardsprache
    der Umgebung) die örtlichen deutschen Dialekte übernehmen? Inwieweit sind davon auch Menschen anderer Sprachen
    oder anderer Varietäten des Deutschen, die nach Mittel- und Osteuropa einwandern, betroffen?
  • Wie wirken sich der als plurizentrisch geltende Charakter des Deutschen und seine Varietäten auf die Zugehörigkeit der Migrierenden zur Aufnahmegesellschaft aus?
  • Was wird von den Migrierenden in den de facto mehrsprachigen Ländern des amtlich deutschen Sprachraums erwartet? Dürfen sie, sollen sie oder müssen sie das Deutsche übernehmen? Werden sogenannte Non-Native-Varianten des Deutschen akzeptiert?
  • Inwieweit lassen sich die Verhältnisse im amtlich deutschen Sprachraum und in Mittel- und Osteuropa mit jenen in anderen Staaten, in denen das Deutsche eine (regionale) Amtssprache darstellt, etwa Belgien, Luxemburg oder Italien, vergleichen?
  • Welchen Stellenwert und welches Prestige genießen das Deutsche und andere Sprachen in den jeweiligen Ländern oder Regionen?
    Welche Rolle spielen welche Herkunftssprachen in Migrationskontexten innerhalb des amtlich deutschsprachigen Raums?
  • Wie werden Zugehörigkeiten und Nicht-Zugehörigkeiten und in Verbindung damit soziale Chancen über sprachliche Merkmale zugeschrieben oder verweigert?

Die Tagung wird von İnci Dirim (Deutsch als Zweitsprache, Universität Wien), Sorin Gadeanu (German Studies und Angewandte Germanistik, Technische Universität für Bauwesen Bukarest und Universität Wien) und Claus Altmayer (Landeskunde/Kulturstudien, Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Herder-Institut, Universität Leipzig) organisiert.

Eine Veröffentlichung der Tagungsbeiträge in einem Band ist geplant. Eine Entscheidung über die Annahme der Vorträge erfolgt bis zum 30. April 2020. Es wird eine Tagungsgebühr von 10 Euro erhoben. Reise- und Unterkunftskosten können leider nicht übernommen werden.

Die Tagung findet vom 19. bis 20. Juni 2020 in Wien statt.

Kontakt: angewandte.germanistik.wien@gmail.com

İNCİ DİRİM
Universität Wien, Arbeitsbereich DaZ

SORIN GADEANU
Technische Universität für Bauwesen Bukarest

CLAUS ALTMAYER
Universität Leipzig, Herder-Institut