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Auch im südlichen Europa verbreiteten sich im 19./20. Jahrhundert unterschiedliche Formen der körperlichen Bewegung, etwa der Leibesübungen, des Turnens und des Vereinssports. Grundlagen für diese parallele Entwicklungen waren ein aus der Aufklärung resultierendes neues Verständnis von Körperlichkeit sowie vom Verhältnis von Mensch und Natur, ein wachsendes politisches Bewusstsein, verschiedene Ansätze hin zur sportlichen Betätigung (von national-mobilisierenden im Sinne der Jahnschen Turnerbewegung oder der bei den Slawen verbreiteten „Sokol“-Gruppen bis hin zu internationalistisch-sozialistischen) und ein neues Verständnis von Freizeit, das sich im bürgerlichen Milieu aus gewandelten Arbeitszeiten und einem neuen Konsumbegriff ableiteten. Im 19. Jahrhundert schuf das Bürgertum verbandliche Strukturen, die Freizeit und Bewegung in der freien Natur ermöglichten, etwa in den verbreiteten Wandervereinen, die vor allem Gebirgslandschaften durch infrastrukturelle Maßnahmen erschlossen und dabei mentale Abgrenzungen vornahmen.

Bis zum Ersten Weltkrieg vollzog sich im Bereich des Sports und der körperlichen Bewegung eine soziale Ausweitung, indem immer breitere Gesellschaftsschichten angesprochen und integriert wurden, andererseits eine Diversifizierung, indem immer neue Sportarten popularisiert wurden. Bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich die Rolle des Sports und der körperlichen Bewegung als Vehikel ethnischer, nationaler und sozialer Aspirationen beobachten, die als solche medial kommuniziert und von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. In der Zwischenkriegszeit bestanden sowohl Tendenzen hin zu einer uniformierenden und letztlich sogar paramilitärischen Auffassung vom Sport als auch vielfältige Formen der transnationalen Kooperation, etwa durch interethnische Vereinsaktivitäten oder die Mitwirkung nationaler Minderheiten in den nationalen olympischen Teams. Die totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts implizierten eine ideologische Vereinnahmung von Sport und Bewegung.

Die Anfänge der Befassung mit der Sportgeschichte Südosteuropas liegen häufig in einer selbstbezogenen Chronistik einzelner Vereine, Städte, Teams oder nationaler Sportentwicklungen, die noch nicht methodisch reflektiert, überwiegend faktografisch und wenig anschlussfähig an die allgemeine Historiografie ist.[1] Erst in den letzten Jahrzehnten lassen sich neue Initiativen feststellen, verstärkt durch ein kulturwissenschaftlich geprägtes Verständnis von Geschichte und das Interesse an dem Zusammenhang von Sport und Nationalismus (etwa am Beispiel der Fußball-Forschung oder dem gewachsenen Interesse an Jugendbewegungen).[2]

Für den geplanten Band sind vor allem Querschnitt- und Längsschnittstudien von Interesse. Im Fokus steht dabei als gemeinsamer Nenner die Trias von Bewegung, Organisation und Ideologie. Ein besonderer Schwerpunkt sollte auf Vereine und Bewegungen gelegt werden, die sich als „deutsch“ verstanden bzw. (zumindest zeitweise) deutschsprachig waren, aber auch auf deren Interaktionen mit Vereinen und Bewegungen von Vertretern anderer Ethnien und Sprachgruppen sowie mögliche Veränderungen ihres Selbstverständnisses. Besonders willkommen sind vergleichende und nationenübergreifende Untersuchungen.

In der Publikation sollen unter anderem folgende Fragen erörtert werden:

  • Auf welche Weise trugen Sportvereine zur politischen, sozialen und ethnischen/nationalen Mobilisierung bei?
  • Welche intraregionalen Verbindungen existierten in Südosteuropa zwischen sportlichen Vereinen und Verbänden unterschiedlicher Ethnien? Wie können zum Beispiel die jüdische Turnbewegung und jüdische Sportvereine darin verortet werden?
  • Wie war die sportliche Aktivität in ein breiteres gesellschaftspolitisches Engagement eingebunden, wenn man etwa an die Förderung von naturwissenschaftlichen, historischen und volkskundlichen Forschungen durch die Wandervereine oder auch durch Individuen bzw. deren Mitwirkung an Naturschutz und Förderung des Fremdenverkehrs denkt?
  • Welche Selbst- und Fremdbilder der sportlich ausgerichteten Vereine finden sich in unterschiedlichen Medien wie Zeitschriften, Plakaten, Fotografien, Filmen und literarischen Verarbeitungen? Welche Vorstellungen von Körperlichkeit traten dabei zutage? Welche Gesellschaftsentwürfe wurden entwickelt – vor allem: welche Teile der Gesellschaft wurden akzeptiert, welche möglicherweise ausgegrenzt (Stichworte: „Arierparagraphen“ der deutschen Turnvereine, konkurrierende Gesellschaftsentwürfe und nationale Selbstbilder)?
  • Welche Sportarten hatten die Funktion einer Breitenaktivität (etwa Wandern, Fußball), welche blieben elitäre Betätigungen bestimmter Gesellschaftsschichten? In welchen lokalen, regionalen oder nationalen Kontexten konnten bestimmte Vereine das Potenzial entfalten, als Anknüpfungspunkte für transnationale Aktivitäten zu fungieren bzw. eine ethnische Exklusivität zu propagieren?
  • Wie lässt sich der Sport in der historischen Topografie und im Stadtbild verorten? Welche Formen des Umgangs mit den materiellen Hinterlassenschaften der Sportgeschichte (z. B. Turnhallen, Sportplätze) lassen sich eruieren? Welchen Stellenwert hat die Sportgeschichte in der Erinnerung einzelner Städte, Regionen und sozialer Kollektive?

Abstracts als WORD-Dateien mit einem Umfang von max. 500 Wörtern werden erbeten bis spätestens 31.1.2022 an Dr. Angela Ilic (ilic@ikgs.de). Nach einer positiven Rückmeldung (die bis 15.2.2022 erfolgt) sollten die fertigen Beiträge mit einem Umfang von ca. 30.000 Zeichen bis spätestens 1.6.2022 eingereicht werden.

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[1] Vgl. etwa Nicolae Postolache: Istoria sportului în România. Date cronologice [Die Geschichte des Sports in Rumänien. Chronologische Daten]. București 1995; Alexe Nicu (Hg.): Enciclopedia educației fizice și sportului din România [Enzyklopädie der Leibeserziehung und des Sports in Rumänien]. 4 Bände. București 12002.

[2] Vgl. etwa John Hughson, Fiona Skillen (Hgg.): Football in Southeastern Europe. From Ethnic Homogenization to Reconciliation. Abingdon 2014; Dario Brentin, Dejan Zec (Hgg.): Sport in Socialist Yugoslavia. Abingdon 2020; Andrew Hodges: Fan Activism, Protest and Politics. Ultras in Post-Socialist Croatia. London 2020; Claudia Selheim, Barbara Stambolis (Hgg.): Aufbruch der Jugend. Deutsche Jugendbewegung zwischen Selbstbestimmung und Verführung. Nürnberg 2013. Katalog zur Ausstellung „Aufbruch der Jugend“ im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg 6. September 2013 – 19. Januar 2014.