20 Partisanen im Interview

8. August 2022

20 Partisanen für einen gute Zeit in Czernowitz 

Die Kulturpädagogin Olha Poliak über Kunstprojekte mit geflüchteten Jugendlichen 

Im Rahmen seiner Reise nach Czernowitz/Tscherniwzi im Juli 2022 hat Florian Kührer-Wielach (IKGS) mit der Kulturpädagogin Olha Poliak gesprochen. Mit einer Gruppe von Czernowitzer Jugendlichen – den „20 Partisanen“ – macht sie es geflüchteten Teenagern etwas leichter, sich in der Stadt ein wenig heimisch zu fühlen. Die „20 Partisanen“ werden aber immer mehr. Mittelfristig sollen die Jugendlichen ihre Projekte selbstorganisiert und eigenverantwortlich durchführen. 

Liebe Olha, würdest du dich uns kurz vorstellen? 

Gerne. Mein Name ist Olha Poliak, ich komme aus Czernowitz. Ich bin Kunstlehrerin und Kulturmanagerin und leite Kunstprojekte für Teenager. 

Du arbeitest auch mit Geflüchteten. 

Ja, wir arbeiten schon seit einiger Zeit mit Teenagergruppen und irgendwann haben wir uns gefragt: Was können wir für die Menschen tun, die nach Czernowitz kommen? Wir wollten sie willkommen heißen, indem wir sie in eine bestehende Gemeinschaft integrieren. Für Teenager ist es sehr wichtig eine Gruppe zu haben, zu der sie sich zugehörig fühlen. Wir hatten bereits eine bestehende Gruppe in Czernowitz und es lag für uns auf der Hand, darauf aufzubauen. 

Kulturpädagogin Olha Poliak, Czernowitz 2022
© Florian Kührer-Wielach

Kannst du uns etwas über diese Gruppe erzählen und über den lustigen Namen, den ihr habt? 

Ja, sie nennt sich „20 Partisanen“. Der Name der Gruppe ist auf das Lied „Oi lyho“ von Braty Hadukiny zurückzuführen (lacht). Es ist eine Gruppe von Teenagern und die Arbeit mit ihnen begann im Kunstunterricht. Ich habe festgestellt, dass sie sich besonders für zeitgenössische Kunst interessierten, also begannen wir außerschulische Workshops für sie anzubieten. Diese liefen dann über fünf Jahre, in denen sie sich einige Fähigkeiten aneigneten. Das machte es einfacher, auch neue Leute zu integrieren, die nach Czernowitz kamen. Die Teenager halfen ihnen und bauten Beziehungen zu ihnen auf, sodass wir eine einladende und vertraute Gruppe für sie wurden. 

Also richtet ihr euch an eine bestimmte Altersgruppe? 

Ja, mehr oder weniger. Die „20 Partisanen“ sind jetzt zwischen 14 und 18 Jahre alt. 

Außerdem versuchen wir zeitgenössische Kunstpraktiken als etwas zu vermitteln, das Spaß bereitet.

Wie sieht eure Kunst aus?  

Wir versuchen Kunst als ein Medium zu vermitteln, das etwas Größeres erschafft. Über die Kunst soll eine Diskussion entstehen. Außerdem versuchen wir zeitgenössische Kunstpraktiken als etwas zu vermitteln, das Spaß bereitet. Auf spielerische Art und Weise wirkt es weniger beängstigend für Einsteiger – was manchmal der Fall ist (lacht). Wir nutzen dadaistische Spiele, Schreib- und Schauspielübungen. Dabei geben wir einen Impuls und die Teilnehmenden entwickeln dann ihre eigenen Ideen. 

Wo macht ihr das? Habt ihr so etwas wie Klassenzimmer? 

Nein (lacht). Wir hatten ein Atelier, aber während der Pandemie mussten wir es schließen. Seitdem machen wir die Workshops draußen, und manchmal bekommen wir Räume von Freunden und Unterstützern des Projekts zur Verfügung gestellt – wie z. B. vom Zentrum Gedankendach. Ich weiß noch nicht, wie wir es im Winter machen werden. Bisher boten wir die Workshops alle zwei bis drei Monate an, aber wir merken, dass der Bedarf steigt: Die Teenager sehnen sich nach häufigeren Treffen und danach Freunde zu finden. Das betrifft besonders die geflüchteten Jugendlichen, die häufig nicht lange an einem Ort bleiben und immer neue Menschen kennenlernen müssen. 

Wie hoch ist der Anteil an geflüchteten Jugendlichen in der Gruppe? 

Ungefähr die Hälfte. Sind es mehr Teenager aus Czernowitz, bilden sie häufig eine isolierte Gruppe. Sind die geflüchteten Jugendlichen in der Überzahl, fühlen sie sich häufig nicht so willkommen. Am besten ist es, wenn jeder der geflüchteten Teenager so etwas wie einen Paten oder einfach einen besonderen Kumpel in der Gruppe hat. 

Wie erreicht ihr die geflüchteten Jugendlichen? 

Die Erfahrung hat gezeigt, dass es am besten durch mündliche Empfehlungen funktioniert, also kontaktieren wir Menschen, die mit Geflüchteten arbeiten, wie z. B. Priester. Social Media-Werbung ist weniger erfolgreich, am besten geht es über persönliche Einladungen. 

Wir wollen keine Organisation sein, die nur mit Jugendlichen arbeitet, sondern eine Organisation, die auch von Jugendlichen geleitet wird. 

Bekommt ihr Unterstützung aus dem Ausland oder von einer ukrainischen Institution? 

Wir bewerben uns für gewöhnlich mit unserem Projekt für Unterstützungen bei ausländischen Institutionen, oft in Zusammenarbeit mit Partnereinrichtungen. Außerdem bekommen wir Privatspenden von Freunden aus dem Ausland, die unsere Arbeit unterstützen wollen. Um staatliche Mittel haben wir uns noch nie beworben, weil die Förderung sehr schwer zu bekommen ist und wir aktuell keine anerkannte NGO sind. Zukünftig planen wir schon eine offizielle NGO zu werden, aber momentan sind die meisten der „Partisanen“ noch jünger als 18 Jahre. Wir wollen damit warten, bis wenigstens einige der Jugendlichen volljährig sind und offiziell Verantwortung übernehmen können. Wir wollen keine Organisation sein, die nur mit Jugendlichen arbeitet, sondern eine Organisation, die auch von Jugendlichen geleitet wird. 

Die Basis der Organisation sind also die Jugendlichen selbst. Ihr wollt die jungen Menschen also dazu bringen, sich selbst zu organisieren. 

Ja. Zu Beginn des Projekts habe ich selbst an einem Workshop zum Thema Jugendarbeit teilgenommen. Dort waren auch die verschiedenen Stufen der gesellschaftlichen Teilhabe von Jugendlichen Thema. Mit jeder Stufe treffen sie mehr eigene Entscheidungen, die Bedeutung für die Gemeinschaft haben. Die höchste Stufe ist die, auf der sie eigene Projekte entwickeln und die Erwachsenen nur mehr zur Unterstützung hinzuziehen. Da sind wir aber noch nicht (lacht). 

Aber das ist eure Vision… 

Ja, genau! Sie sind noch jung, doch wir sind auf einem guten Weg. Ich denke, wir befinden uns auf der Stufe davor. Zu Beginn haben wir das Projekt für sie gemacht. Wir haben lediglich gefragt, was sie gerne tun würden. Jetzt ändert sich das: Sie haben ihre eigenen Ideen und rufen Projekte ins Leben. Was noch fehlt ist, dass sie uns hinzuziehen – sie sind an einem Punkt, an dem sie die Dinge gerne ganz alleine machen wollen (lacht). Aber ja, da ist schon sehr viel Teilhabe vorhanden. Neue Projekte werden immer mit allen diskutiert, um herauszufinden, was der beste Weg ist. Sie wissen viel besser als wir, was für sie relevant ist. Sie machen schließlich ganz andere Erfahrungen als die, die wir in unserer Jugend machten. 

Da treffen verschiedene Generationen aufeinander und auch verschiedene ukrainische Herkunftsregionen. Die Jugendlichen kommen aus ganz verschiedenen Umgebungen, sind andere Städte und Gebäude gewohnt und kommen hier in diese Stadt mit der habsburgischen Architektur.  Redet ihr über die Heimatverluste und erzwungene Neuanfänge? 

Wir versuchen nichts zu triggern, was schmerzhaft sein könnte, denn wir sind kein psychologisches Projekt und dafür nicht qualifiziert. Wir sind offen, wenn sie Dinge mit uns teilen möchten, aber wir bohren nicht nach. Was ich beobachte ist, dass Teenager nicht so sehr auf die historischen Gebäude schauen, weil sie die Geschichte nicht kennen. Sie nehmen eher den Größenunterschied zwischen der kleinen Stadt Czernowitz und den großen Städten wie Saporischschja oder Kiew, aus denen die meisten kommen. Wir versuchen sie also mit der Stadt vertraut zu machen, sodass sie sich hier wohlfühlen. Teil des letzten Projekts war beispielsweise, ihnen coole Orte in Czernowitz zu zeigen, wo sie in ihrer Freizeit hingehen können. Das sind Orte für Kunstschaffende, wo sie mitmachen oder an ihren eigenen Sachen arbeiten können – z. B. Keramikworkshops oder Breakdance, je nach dem, was sie interessiert. 

Projekt „Der Körper der Stadt“ (August 2022)
© olga_kukush 

Die historisch-kulturellen Unterschiede, die sie in Czernowitz vorfinden, sind für sie also letztlich unwichtig, sie haben andere Probleme, oder? 

Wir wollen sie nicht mit historischen, kulturellen Informationen beladen, sondern ihnen die Stadt einfach als einen Ort zeigen, an dem man gerne leben kann. Die meisten von ihnen bleiben nicht sehr lange hier, und ich denke, dieses kulturelle Wissen ist interessanter für Menschen, die länger bleiben. Mit denen beginnen wir nach einem halben Jahr auch über komplexere Themen der Stadt zu reden. Wenn wir merken, die Gruppe funktioniert gut zusammen und sie haben Spaß, ist es das was wir wollen. Wir wollen für sie zu einer schönen Erinnerung an den Sommer werden. Wenn sie die Stadt wieder verlassen, bekommen sie ein gedrucktes Magazin des Projekts. Damit können sie sich immer erinnern, dass sie Freunde in der ganzen Ukraine haben. 

Glaubst du einige von ihnen gehen zurück, wenn die Schule im Herbst wieder anfängt? 

Das ist schwer zu sagen, sogar für sie selbst. Einige haben geäußert, dass sie gerne fester Teil der „20 Partisanen“ werden wollen. Wir haben jetzt einige Gespräche über zukünftige Projekte und über das, was aktuell gebraucht wird, geführt. Wir beginnen zu planen, was wir im restlichen Sommer und im Herbst tun wollen, aber niemand kann sagen, ob die Jugendlichen bleiben oder nicht. Das hängt auch nicht von den Teenagern selbst ab. Das Teenager-Alter ist eine Zeit, in der man fast erwachsen und trotzdem noch sehr abhängig ist. Es zählt immer noch das, was Mama dazu sagt (lacht). Aber selbst wenn sie gehen, wäre es schön, in Kontakt zu bleiben. Gerade gestern haben wir darüber geredet. 

Psychologisch gesehen ist das ein Zeichen starker Widerstandskraft, wenn man sich auf etwas anderes konzentriert und schlechte Gedanken zurücklassen kann. 

Sind viele der Teenager traumatisiert? Wie kommen sie mit der Situation zurecht?  

Wie gesagt, wir bohren nicht viel nach. Aber mein Eindruck ist, dass viele gut damit umgehen – sie wirken auf mich sehr resilient. Vielleicht sieht es in ihren Köpfen und Gedanken nicht so unbeschwert aus, wie es äußerlich scheint, aber sie reflektieren den positiven Einfluss des Projekts, anstatt sich auf all das Schlimme zu fokussieren. Psychologisch gesehen ist das ein Zeichen starker Widerstandskraft, wenn man sich auf etwas anderes konzentriert und schlechte Gedanken zurücklassen kann. Ich habe den Eindruck, wir können ihnen eine helle und farbenfrohe Erinnerung mitgeben. 

Ihr habt jetzt eine Runde des Projekts beendet, oder? 

Ja, wir hatten das Czernowitz-Programm für 12 Tage und vier Tage in Iwano-Frankiwsk. Jetzt planen wir zwei Tage in einem Dorf, in der Nähe von Kolomyja zu sein und für drei Tage in Stryj. Dann haben wir noch offene Workshops, für jeden, der kommen mag. Und im September und Oktober planen wir in enger Zusammenarbeit mit dem Zentrum Gedankendach ein Projekt für Geflüchtete rund um das Thema „Haus“. Da werden wir doch etwas tiefer „graben“. Mit diesem Workshop begeben wir uns auf ungewisses Terrain. Es soll darum gehen, was der Begriff „Haus“ für sie meint: Ist es ein Gebäude oder auch etwas, das man mitnehmen kann? Es wird eine Bedeutungssuche. 

Das klingt tatsächlich nach ziemlichem Tiefgang. Ich wünsche dir und deinen „20 Partisanen“ viel Erfolg! Vielen Dank für das Gespräch. 

Die „20 Partisanen“ sind auf Facebook und auf Instagram zu finden. 

#netzwerkgedankendach

Weitere Informationen zur Bukowinahilfe gibt es hier.

Zur Reportage „Czernowitz 2022. Eine Sommerreise“ 

Interview-Reihe  „Czernowitz 2022“

#1: Im Gespräch mit dem Universitätsrektor (Spotify | Youtube)

#2: Eine Führung durchs jüdische Museum Czernowitz  (Spotify | Youtube)

#3: Die Zukunft des Celan-Zentrums und des Meridian-Lyrikfestivals (Spotify | Youtube)